Volkskundlicher Exkurs: Was macht die slowenische Küche so interessant?

Anlässlich einer Reportage von Radio France International habe ich den slowenischen Ethnologen Janez Bogataj getroffen, den größten Experten auf dem Gebiet der slowenischen Gastronomie. Als ausgesprochener Koch-Enthusiast hat er bereits zahlreiche Bücher über die Geschichte der slowenischen Küche verfasst. Anhand des nun folgenden Textes, den Janez Bogataj selbst geschrieben hat, werdet ihr nachvollziehen können, wieso die slowenische Küche so spannend ist.


J. Bogataj, slowenischer Volkskundler, enthüllt die Ursprünge der slowenischen Küche, die viel interessanter ist, als sie auf den ersten Blick wirkt.


Slowenien ist eine Kreuzung verschiedener Kulturen, wie sie nirgendwo anders in Europa vorkommt. Das liegt auch daran, dass Slowenien im Großen und Ganzen ein recht bergiges Land ist. Die vielen Täler limitieren den allgemeinen Austausch, wodurch die Entwicklung origineller Kulturen und Gewohnheiten begünstigt wird. Daher kam es dazu, dass jede slowenische Region ihre eigenen kulinarischen Traditionen entwickelte, wobei viele Inspirationen auch aus der Küche der Nachbarn aus Italien, Österreich, Kroatien und Ungarn kamen und kommen. Dieser kulturelle Austausch hat der regionalen slowenischen Küche eine unglaubliche Vielfalt verliehen – und das bei diesem kleinen Staatsgebiet!

„Die slowenische Küche ist einzigartig, da sie drei sehr unterschiedliche Einflüsse verbindet: den der Alpenregion, den des Mittelmeerraumes und den der Pannonischen Tiefebene. Slowenien ist die Gegend, in der sich diese drei Kulturen seit Jahrtausenden kreuzen. Die Kultur und die Lebensweisen, die dem heutzutage Slowenien genannten Gebiet eigen sind, sind daher durch die Geschichte und interkulturellen Austausch bedingt.

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Die gesellschaftliche Vielfalt der slowenischen Bevölkerung hat ebenfalls zur Reichhaltigkeit der slowenischen Küche beigetragen. Kleinbauern machten zwar einen großen Teil der Bevölkerung aus, aber es gab auch Händler, Grundbesitzer, Bergarbeiter, Mönche etc. Dabei hat keiner von ihnen einfach blind die kulinarischen Gewohnheiten der anderen angenommen, etwa die der Pannonischen Tiefebene (Ungarn), des Alpenraumes oder des Mittelmeerraumes einfach kopiert. Nein, diese Einflüsse sind von den Einwohnern förmlich verdaut, geschluckt worden, woraufhin sie der heimischen Kultur und Lebensweise angepasst wurden.


 Es gibt eine Vielzahl wichtiger Einflüsse in der Geschichte der Entwicklung der slowenischen Ernährungsweise und Küche.


Als sich die slawischen Einwanderer im 6. Jahrhundert auf dem heutigen slowenischen Staatsgebiet ansiedelten, gab es bereits eine einheimische Bevölkerung, ein Volk, das einen wichtigen Einfluss auf das Wirtschaftsleben und indirekt auf die Ernährungsweise hatte. Dieser Einfluss kam vor allem durch die Kenntnisse der Verarbeitung von Milch zu Milchprodukten – ganz besonders Käse.

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Die slawischen Einwanderer siedelten sich im 6. Jahrhundert auf slowenischem Gebiet an. Aus den verschiedenen slawischen Stämmen ist dann allmählich eine zusammenhängende ethnisch slowenische Bevölkerungsgruppe hervorgegangen. Dies war ein langer Prozess, der mindestens bis ins 9. Jahrhundert und noch weiter andauerte.

Das Feudalsystem, die Neubesiedlung verschiedener Teile des slowenischen Territoriums, die Stadtentwicklung und vor allem die vielen Handelsbeziehungen, die aus der geographischen Lage Sloweniens inmitten der Handelsrouten resultierten, hatten einen ausgesprochen großen Einfluss auf die slowenische Ernährung.

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Im Mittelalter nahm die Anzahl an Lebensmittelprodukten drastisch ab, da ein Großteil der Ernteerträge von den Lehnsherren und der Kirche eingezogen wurden. Der Mangel an Weizen – und damit an Brot – führte dazu, dass Schrot (Kaše), insbesondere Gerste und Hirse, sowie Saubohnen und andere Hülsenfrüchte zu Grundnahrungsmitteln wurden. Die Slowenen aßen damals außerdem noch Erbsen (Grah), Linsen (Leca), Kohl (Zelje), Rüben (Repo) und machten Öl aus Mohn (Mak), Leinsamen (Lan) und Kürbiskernen (Bučnica). Nur zu feierlichen Anlässen gab es verschiedene Kuchen, Schweinefleisch sowie andere Fleischgerichte.


 Honig und Milchprodukte spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle für die Ernährung der Slowenen.


Buchweizen (Ajda) wurde im Laufe des15. Jahrhunderts vermehrt für Gerichte verwendet. Er hat die Essgewohnheiten nachhaltig verändert. Gleichermaßen der Mais (Koruza), der sich im Laufe des 17. Jahrhunderts zu verbreiten begann. Zur selben Zeit begann man damit, Bohnen (Fižol) zu kultivieren. Kartoffeln (Krompir) wurden schließlich ab dem 18. Jahrhundert angebaut. Diese sind während des darauffolgenden Jahrhunderts schließlich zu einem der beliebtesten Gerichte geworden.

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In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie im 19. Jahrhundert, als Slowenien Teil des Österreich-Ungarischen Kaiserreichs war, wurden einige weitere kulinarische Innovationen übernommen und modifiziert (Mehlspeisen, Pfannkuchen…). In der selben Epoche erfuhren einige slowenische Speisen internationale Anerkennung, zum Beispiel Potica, ein kleiner Kuchen mit variierender Füllung, Kranjska Klobasa, eine Wurst, und Štruklji, verschiedene Arten gefüllter Crêpes.


 Selbst die kurze französische Besatzungszeit unter Napoléon hat ihren Spuren im kulinarischen Bereich hinterlassen.


Zu dieser Zeit durfte Slowenien auch das Erscheinen seines ersten Kochbuches auf slowenischer Sprache bestaunen, welches detailliert die verschiedenen Speisen, deren Zubereitung sowie die zu verwendenden Küchengeräte beschrieb. Dieses Buch von Valentin Vodnik erschien 1799 in Ljubljana. Die kulinarische Erneuerung beschleunigte sich nach den Revolutionen von 1848, da diese zahlreiche Änderungen im Bereich der Esskultur mit sich brachten und damit die regionale Vielfalt noch verstärkten. Infolgedessen vervielfachten sich die slowenischen Kochbücher. Zu den Beliebtesten jener Zeit zählt Slovenska kuharica (Die slowenische Köchin) von der Ordensschwester Felicita Kalinšek, welches auch heute regelmäßig neu aufgelegt wird.

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Die slowenischen Orte im Herzen der Julischen Alpen entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Touristengebieten. Die Hotels und Restaurants am Bleder See, in Rogaška Slatina (Rohitsch-Sauerbrunn), bei Dobrna (Neuhaus) und etwas später ebenso Portorož trugen stark zur Entwicklung der Gastronomie und der Ausbildung von Küchenpersonal bei.


 Eine neue kulinarische und gastronomische Ära brach nach 1918 und zwischen 1945 und 1991 durch die Angliederung an die Balkanstaaten und in das sozialistische Jugoslawien an.


Zusätzlich zu den großen gesellschaftlichen Veränderungen und denen der Bevölkerungsstruktur kam es infolgedessen dazu, dass verschiedene Gerichte der Balkanregion auf den slowenischen Speisekarten Einzug erhielten. Dies waren vor allem Grillgerichte, wie zum Beispiel Cevapčiči (kleine Hackfleischröllchen) und Ražnjiči (Fleischspieße), um nur zwei von ihnen zu nennen. Weiterhin kam es zur vermehrten Verwendung von Paprika.

Am Ende der 60er Jahre begann auch die italienische Pizzakultur an Bedeutung zu gewinnen und wurde zu einer Art Gegengewicht zu den Speisen der Balkanregion. Nach der Unabhängigkeit erfolgte eine Öffnung gegenüber internationalen kulinarischen Strömungen (Slow Food, asiatische Restaurants, erhöhte Bedeutung von Wein…).


 Das moderne Slowenien entdeckt seine kulinarischen Wurzeln und beginnt damit, sich eine eigene Identität inmitten Europas zu erschaffen.


Die slowenische Küche, die bis vor kurzem auf internationaler Ebene recht unbekannt war, gehört mittlerweile zu den gastronomisch interessantesten Bereichen Europas. Diese tendenzielle Entwicklung wird durch die große Zahl regionaler Gerichte in den slowenischen Gostilnas (Gasthöfen) bestätigt, welche man heute zu Hunderten im Land finden kann. In diesen werden die alten Brauchtümer respektiert, und sie werden häufig seit mehr als einem Jahrhundert von der selben Familie bewirtschaftet. All jene, die Slowenien und seine Einwohner kennen lernen wollen, sollten unbedingt eine Gostilna besuchen!

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Die Slowenen reden gerne von gutem Essen und Speisen allgemein. Am Montag auf der Arbeit drehen sich die Gespräche häufig darum, wie die einen und die anderen das Wochenende mit der Familie verbracht haben. Dabei tauschen sie Informationen über gute Gostilnas aus, reden über leckere Speisen, Wein…


 Daheim am Wochenende wird häufig rund um das Ritual der Essenzubereitung eine vertrauliche Stimmung aufgebaut.


Die slowenische Küche ist die Verschmelzung eines außergewöhnlichen Erbes. Sie ist aus dem Zusammenspiel verschiedener Epochen der Geschichte sowie Sloweniens geographischer Lage am Kreuzungspunkt unterschiedlichster Einflüsse hervorgegangen. Zu Tisch und am Herd sind die Slowenen immer sehr innovativ gewesen, und die kulinarischen Traditionen, die ins Land gelangten, wurden stets mit viel Feingefühl angepasst. So wurden ausländische Gerichte von den Individuen, Familien und Einwohnern eines Ortes oder einer Region im Zusammenspiel mit deren häuslichen Notwendigkeiten, Spiritualität und Lebensrhythmus adaptiert.

Heute verfügt die slowenische Küche über eine außergewöhnlich hohe Bandbreite an Brot, Kuchen und anderen Mehlspeisen. Pilze und Waldfrüchte sind zudem auch Bestand der modernen slowenischen Ernährung. Der Zugang zum Meer liefert Nahrungsmittel aus dem Mittelmeerraum, wodurch es viele Fischgerichte gibt, die auf verschiedenste Art und Weise reinterpretiert wurden. Weiterhin findet man auch Süßwasser-Delikatessen in der Nähe des Bohinjsees und der Soča (Isonzo), beispielsweise Forellen, die in Maismehl gewälzt und gebacken werden, sodass sie höchsten kulinarischen Ansprüchen genügen.

Gerichte mit Schweinefleisch nehmen heutzutage den ersten Platz unter den Fleischgerichten ein. Geflügel ist außerdem sehr beliebt und auch Wild hat seinen festen Platz. Suppen gibt es meistens in der Form klassischer Rinderbrühe mit Nudeln, es gibt sie jedoch auch im Zusammenspiel mit Pilz- und Gemüseeintöpfen. Geräucherte Fleisch- und Wursterzeugnisse sind in den Karstgebieten ebenfalls häufig anzutreffen, in welchen die Bora (Burja), ein kalter Fallwind aus Norden, zur Trocknung genutzt wird.

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Natürlich muss auch die Menge an Gemüse und Hülsenfrüchten und die daraus bereiteten Speisen erwähnt werden. Unter den zuckerhaltigen Speisen gibt es drei, die von erstrangiger Bedeutung sind: 1. Die bereits erwähnten crêpe-artigen Štruklji (mit Käse, Estragon, Honig, Mohn, Apfel…), 2. Die Potica (gerollter Kuchen mit Honig, Estragon, Käse, Buchweizen, Nüssen, Mohn, Johannesbrotfrüchten und vielen anderen Zutaten) und 3. Die Gibanica, ein Blätterteiggebäck, das vor allem in Nordosten Sloweniens in den Gegenden Prekmurje (Übermurgebiet) und Prlekia serviert wird.

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Die kulinarische Bandbreite Sloweniens wird von den verschiedenen Arten frischen Obstes, Säften und Trockenfrüchten vervollständigt. Seitens der Getränke findet man zahlreiche Weine hoher Qualität, Schnäpse auf Apfel-, Birnen- und Traubenbasis sowie weitere aus Waldfrüchten und Kräutern. Aber auch das slowenische Trinkwasser aus Brunnen und Bächen ist von hervorragender Qualität.“

Janez Bogataj, Volkskundler

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